How I live now. Von Meg Rosoff

 How I live now

von Meg Rosoff

 

“After all this time, I know exactly where I belong. Here. With   Edmond. And that's how I live now.”

That’s How I Live Now. So lebe ich jetzt.

Nüchtern, sachlich, wie eine Feststellung klingt dieser letzte Satz, den Daisy uns hinschleudert, wie sie so viele Erlebnisse, Gedanken und Gefühle hinrotzt, als wäre es ihr egal, ob wir es verstehen oder nicht. Sie scheint nicht zu reflektieren. Alles, was ihr einfällt, wird berichtet, bewertet, in eben dem Moment, in dem sie es erlebt oder empfindet. Atemlos. Immer im hier und jetzt.

So kommen Sätze zustande wie:

„Early the next morning I was strolling around as usual in my unpleasantly populated subconscious when I heard Edmond’s voice very close to my ear saying Daisy wake up, and there was his face right near mine and a burning cigarette in one hand and some kind of striped Turkish slippers on his feet and he said Come on, we’re going fishing.”

Einer meiner Lieblingssätze. Die einzige Information über die Handlung des Geschehens („we’re going fishing“) wurde einfach ans Ende des Satzes gepackt, weil es die war, die Daisy am wenigsten interessierte. Sie gehört in der Rangfolge der Inhalte dieses Satzes noch hinter Edmonds Hausschuhe, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass seine Stimme nahe an ihrem Ohr erklingt…

Ungelogen, ich habe alles genau abgeschrieben, kein Komma und keinen Punkt weggelassen. So oder so ähnlich verhält es sich mit allen Sätzen in diesem Buch. Man muss sich Zeit nehmen zum Lesen, am besten jedes Wort genießen, das Kopfkino anschalten, sich alles bildlich vorstellen.

Aus diesem Satz erfahren wir etwas Wichtiges über Daisy, über die Welt, in der sie lebt: Daisy ist eine Weltenerschafferin, eine Lebenskünstlerin, eine Geschichtenerzählerin. Die Wirklichkeit ist eine Sache, Daisys Leben in dieser Wirklichkeit eine ganz andere. In der Wirklichkeit gehen nur ein paar Kinder im Fluss angeln, aber in Daisys Welt ist es das erste Kapitel eines Märchens, das sie gerade erst zu begreifen anfängt.

Was passiert aber nun eigentlich in diesem Buch, dass ich es nicht auf die Reihe kriege, einfach von Anfang zu erzählen, was sich zuträgt, sondern schon am Beginn dieser Rezension von einem Punkt zum anderen springen, sodass man mir kaum folgen kann? Ist es so kompliziert?

Nein, eigentlich nicht. Okay. Ich werde nun kurz die Rahmenhandlung skizzieren. Wenn ihr danach aufhört zu lesen, selber schuld.

Daisy ist 15 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in New York. Sie nennt ihre Stiefmutter "Davina the Diabolical", rührt keine von ihr zubereitete Mahlzeit an und wird deswegen zu verschiedensten Psychologen geschleift. Ihre beste Freundin heißt Leah. Ihr Vater schickt sie über die Sommerferien nach England, um ihre Familie zu besuchen: Ihre Tante Penn (Schwester ihrer schon lang verstorbenen Mutter) und ihre Cousinen und Cousins Osbert, Edmond, Isaac und Piper. Daisy verliebt sich in Edmond…

So, das wars. Das ist ernsthaft im Großen und Ganzen alles, was man auf den Klappentexten findet. Was erwartet man: Eine mittelmäßig spannende, nicht weltbewegende Sommergeschichte. Wenn sie gut geschrieben ist, vielleicht ein angenehmer Zeitvertreib. Mehr nicht.

Dachte ich auch, bevor ich es gelesen habe.

Elizabeth, die sich nur Daisy nennen lässt, nennt sich selbst die Mörderin ihrer Mutter, die bei ihrer Geburt gestorben ist. Sie erhofft sich von ihrem (durch den Vater erzwungenen) Besuch in England wenigstens eine Ahnung davon, was für ein Mensch ihre Mutter gewesen ist. Doch Schwester-ihrer-Mutter-Tante-Penn verlässt die Kinder schon wenige Tage nach Daisys Ankunft, um auf wichtigen Konferenzen für den brüchigen Weltfrieden zu werben.

Zunächst genießen die Jugendlichen ihre Freiheit. Sie fühlen sich von der Welt abgeschieden, unverwundbar in ihrer Welt auf einem abgelegenen Bauernhof, miteinander, mit den Hunden, Ziegen und Büchern und ohne Schule. „...happy Rehe äsen auf Auen.“ (Danke, Frau Sybille! S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle: Kolumne von Sibylle Berg - DER SPIEGEL). Doch während Daisy ihrer kleinen Cousine gesteht, dass sie in deren großen Bruder verliebt ist (Piper dazu sachlich: „Well I'm glad that you love him because I do too.“), die südenglische Natur wie verrückt zu blühen beginnt und Osbert, der Älteste, die Meldungen aus Radio und Fernsehen eher als Abenteuer denn als Bedrohung begreift, geht über der Welt ein Krieg auf.

Wir erfahren so gut wie nichts über Ursachen und Ausbreitung  dieses Krieges, denn Daisy überblickt die Situation überhaupt nicht. Im Dorf hört man Gerüchte wie „My brother in law says it's the french bastards“ oder „My neighbour in The Lords says it's the Chinese“. Keiner scheint zu wissen, was vor sich geht, und den Kindern wäre es auch herzlich egal, doch die Situation wird ernster. Es kommen Soldaten zum Haus, die Medikamente konfiszieren und es auf seine Tauglichkeit als Militärstützpunkt prüfen. Daisy und ihre Cousins leben stoisch weiter ihr Leben und versuchen, sich nicht auszumalen, was mit Penn, von der sie keine Nachricht erhalten, in Oslo passiert ist. Stiefkind und Halbwaise Daisy ist einfach nicht bereit zu glauben, dass sie das Glück und die Geborgenheit, alles, was sie gerade erst gefunden hat, wieder für irgendeinen Rotz, den die Erwachsenen verzapft haben, aufgeben soll. Bis zu dem Tag, als sie und Piper von Edmond, Isaac und Osbert getrennt werden und die beiden eine gefährliche Reise beginnen müssen, um ihre Liebsten wiederzufinden.

Als ich dieses Buch gelesen habe, habe ich mir mit 15 oder 16 zum ersten mal ganz konkret vorgestellt, wie es wäre, wenn ein hier in Mitteleuropa Krieg ausbräche. Was Daisy und Piper auf ihrer Reise erleben, löste bei mir einen so bitteren Geschmack im Mund, Hoffnungslosigkeit und Wut über die Ungerechtigkeit aus, dass ich das Buch zeitweise weglegen musste. Daisy fasst es so zusammen:

„If you haven't been in a war and are wondering how long it takes to get used to losing everything you think you need or love, I can tell you the answer is no time at all.“

„Fighting back is what I discovered I do best.“, sagt Daisy am Ende des Buches über sich. Diese Eigenschaft rettet sie und Piper, für die sie sorgen muss.

Richtig gutes Buch, spannend bis zur letzten Seite. Eine Sprache, die auf deutsch und auf englisch funktioniert. Es geht um alles. Um die Welt, um Menschen und was sie so machen auf der Erde, das Schöne und das Schreckliche, um Liebe, um Sehnsucht, um Verbindung. Lesen, sofort, das ist ein Befehl.

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