Tagebuch eines frommen Chaoten. Von Adrian Plass
Tagebuch eines frommen Chaoten
Von Adrian Plass
Dieses Buch ist in so einfachem Stil geschrieben, dass wohl auch Kinder und Jugendliche es verstehen könnten. Doch man muss wahrscheinlich einfach einige Jahre christliche Gemeinden mitgemacht haben, um das Buch witzig finden zu können, und das setzt ein gewisses Alter (und Reflexionsvermögen) voraus.
Und hier mein Coming-Out: Ich war ein Christen-Kind. Ich habe 5-Geschwister- und Freddy-der-Esel-Kassetten gehört. Ich war in Jungscharlagern, Konficamps, Schülerbibelkreisen und jeglichen sonstigen christlichen Rüstzeiten, bis hin zum missionarischen Matheintensivkurs (so geht Abivorbereitung im Ländle). Ich war auf einer Schule, auf der es im verdammten Jahr 2007 nach Christus nicht durchging, dass ein homosexueller Lehrer beim Planspiel „Wir tun so, als wäre unsere Schule ein Staat“ seinen Lebenspartner heiraten darf, weil eine katholische Mutter dagegen mobil machte (auch sozialistische Revolution wurde vom Sekretariat glatt abgelehnt).
Nach der Konfirmation dachte ich, ich hätte einen heißen Draht zu Gott (it's just what brainwash does). Beten, tägliches Bibellesen, Jugendgruppe, das volle Programm. Bin nun wieder davon geheilt (wahrscheinlich hat meine große Schwester intensiv für mich gebetet – bless you an dieser Stelle) und schaue manchmal mit einer Mischung aus Erschrecken, Amusement und Nostalgie auf diese Zeit zurück.
Adrian selbst gibt sich redlich Mühe, ein guter Christ zu sein. Er will alles richtig machen. Er startet einen Versuch nach dem anderen und notiert sie in seinem Tagebuch, zum Beispiel morgendliche Gebetsmeditationen, die damit enden, dass seine Frau ihn schnarchend auf dem Wohnzimmerteppich findet. Auch zur Straßenevangelisation fühlt er sich verpflichtet, doch dieses eklige Gefühlsgemisch aus Schuld („Ein Christ muss doch seinen Glauben weitergeben!“), Abscheu („Ich hasse doch selbst solche Leute, die mich auf dem Heimweg mit Bibeln überfallen!“) und Scham („Was, wenn ich jemanden treffe, den ich kenne?“) lässt ihn nicht so richtig aus sich herauskommen. Auch als Hauskreisleiter ist ihm sein Weg zur geistigen Reife nicht vergönnt. Zwar hält er mit vor Stolz geschwellter Brust Andachten und ordnet das sündige Leben seiner Schäfchen, seine eigene Familie aber findet es nach einer Weile ziemlich beschissen, nun immer hinter dem Dienst am Herrn anzustehen und lässt ihn das spüren.
Viele Heucheleien und Ungereimtheiten im Gemeindeleben werden angedeutet, wenn auch nicht offen kritisiert. Das Buch ist auf gar keinen Fall religionskritisch, eher stellenweise religionskitschig. So werden Adrians absolut berechtigte Zweifel an seinem Glauben mit einer Floskel oder einem kleinen Erlebnis weggewischt, die zugegebenermaßen witzig sind, doch den Zweifel eigentlich nicht ernst nehmen. Zum Beispiel will Adrian unbedingt glauben, dass, wenn der Glaube der Propheten Berge versetzen könne, sein kleines geistliches Licht Gott doch wohl wenigstens dazu bewegen könne, eine Büroklammer über den Tisch zu schieben.
„Samstag, 11. Januar
Stand heute zeitiger auf, um dieser verflixten Büroklammer eine letzte Chance zu geben. Endete damit, daß ich sie grimmig, wenn auch phon-schwach (weil ich keinen wecken wollte), anzischte. Als ich aufgab und die Tür aufmachte, stieß ich auf Anne und Gerald im Nachthemd, die gelauscht hatten und ziemlich besorgt aus der Wäsche guckten.
Anne sagte: „Schatz, warum sagst du zu einer Büroklammer, du würdest ihr schon zeigen, wo's langgeht, wenn sie nicht endlich ihren verdammten Akt bringt?“
Erklärte mit dem Rest Würde, den ich aufbringen konnte, daß ich ein Glaubensexperiment durchgeführt habe und ein bißchen aus der Haut gefahren bin, weil es nicht geklappt hat.
Anne sagte: "Aber Liebling, Christsein heißt doch nicht, einem magischen Zirkel anzugehören. Warum sollte Gott wollen, daß du durch den Glauben eine Büroklammer versetzt?“
Der Grundtenor, der sich durch die Anekdoten zieht, ist: Christsein bedeutet ganz einfach, auf Gott und seine Vergebung durch Jesus Christus zu vertrauen. Der Kern sollte sicher nicht sein, sich über andere zu erheben, im Gottesdienst die Arme zu heben oder für jeden Basar einen Kuchen zu backen. Wer sich je wie Adrian die ernsthafte Frage nach der konkreten Ausgestaltung des täglichen Christseins gestellt hat (mit allen haarigen Widersprüchen und Unmöglichkeiten), dem bieten die Geschichten von Adrian einige Anstöße zum Nachdenken. So zum Beispiel für mich den Gedanken, dass religiösen Gemeinden auch inklusiv sein können. Es gibt so viele unterschiedliche Leute, die mensch vielleicht nicht auf Anhieb versteht. Alte, junge, trinkende, eifernde, verzweifelte, traurige, schüchterne, sterbende. Auch extrem nervige. Aber dann hat diese Gemeinde nunmal leider den Anspruch, niemanden auszuschließen, denn What Would Jesus Do?! (Diese unsäglichen Armbänder, ja, auch ich trug eins.)
Anmerkung: Mir ist bewusst, dass Menschen aufgrund z.B. ihrer sexuellen Orientierung in christlichen Gemeinden diskriminiert werden, auch aufgrund von Rassismus oder Sexismus. Die ganze Institution Kirche ist meiner Meinung nach (egal, ob freikirchlich, landeskirchlich, katholisch oder evangelisch) teilweise ein menschenfeindlicher Verein. Das ist scheiße und gehört verboten. Ich wollte mit dem Absatz oben ausdrücken, dass Elemente wie Vergebung, Nächstenliebe und Gemeinschaft durchaus in manchen Gemeinden gelebt werden und Menschen auch guttun und zueinander führen können.
Das Buch kann also auf eine sympathsiche Art zum Nachdenken Anregen. Personen, die schlechte Erfahrungen in Gemeinden gemacht haben, könnten sich aber durch das Buch missverstanden fühlen.
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